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Fragen & Antworten zum Tod des Schimpansen-Jungtiers im Zoo am Meer Bremerhaven

Der Zoo am Meer Bremerhaven musste am 6. September 2025 ein Schimpansen-Jungtier, welches Schimpansen-Weibchen Lizzy geboren hatte, einschläfern. Nach der Geburt erlitt die Mutter einen Kreislaufzusammenbruch, konnte jedoch durch tierärztliche Notfallmaßnahmen gerettet werden. Aber auch als ihr Zustand sich im Verlauf der nächsten zwei Tage deutlich verbesserte, kümmerte sich Lizzy nicht um ihren Nachwuchs. Schon am Tag der Geburt wurden die Notfallpläne des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes (EEP) der EAZA (European Association of Zoos and Aquaria) aktiviert. Als sich jedoch der Allgemeinzustand des Jungtiers am Samstagmorgen verschlechterte, musste schweren Herzens die Entscheidung zur Einschläferung getroffen werden.

Wir verstehen, dass diese Situation für viele Menschen schwer nachzuvollziehen ist. Aber in einer verantwortungsvollen Tierhaltung spielt nicht nur das Überleben an sich eine Rolle, sondern auch die Lebensqualität eines jeden Individuums. Diese muss zu jedem Zeitpunkt evaluiert und sachlich fundierte Entscheidungen getroffen werden, unabhängig, wie emotional schwer diese Entscheidungen sein mögen. Nachfolgend möchten wir gerne einige Fragen für ein besseres Verständnis beantworten.

Nach dem plötzlichen Kreislaufzusammenbruch konnte Lizzy durch tierärztliche Notfallmaßnahmen stabilisiert werden. Nach Rücksprache mit einem besonders erfahrenen Tierarzt, der als Experte Teil des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms ist, wurde sie umfänglich untersucht und behandelt. Schon am Tag nach der Geburt hatte sich ihr Zustand deutlich verbessert, sie war ansprechbar und hat sich im Rahmen der Möglichkeiten normal verhalten. Lizzy hat sich gut erholt und zeigt derzeit keine Auffälligkeiten. Sie hat auch nach Verbesserung ihres Zustands weder auf die Anwesenheit noch das Verschwinden des Jungtiers reagiert. Ihr Verhalten lässt nicht darauf schließen, dass sie den Verlust des Jungtiers überhaupt wahrnimmt.

Unsere Gruppe gehört zu den Westafrikanischen Schimpansen, deren Unterart von der Ausrottung bedroht ist. Die Mutter unseres Zuchtmannes Dumas stammt noch aus Westafrika und ist daher genetisch besonders wertvoll. Zoos in Europa haben den gesetzlichen Auftrag, bedrohte Tierarten in menschlicher Obhut zu halten und zu erhalten. Dazu gehört die Nachzucht von Tieren im Rahmen von wissenschaftlich geleiteten Erhaltungszuchtprogrammen, um langfristig genetisch gesunde Populationen zu bewahren. Eine Jungtieraufzucht bietet sowohl den Weibchen, als auch der gesamten Gruppe, die Chance, einen Teil ihres Verhaltensrepertoires zu zeigen. Somit ist dies eine Bereicherung und stabilisiert auch die Gruppenstruktur.

Lizzy hat bereits erfolgreich Nachwuchs großgezogen. Sie ist mit ihrer Tochter Donna nach Bremerhaven gekommen. Daher wurde die Entscheidung getroffen, mit ihr zu züchten. In der Vergangenheit hatte sie ihr erstes Jungtier nicht aufgezogen, was bei jungen, unerfahrenen Müttern häufiger vorkommen kann.

Kein weiteres Weibchen bei uns in der Gruppe hat einen Milchfluss. Somit war eine natürliche Versorgung des Jungtiers nicht möglich. Nach dem Zusammenbruch des Muttertiers direkt nach der Geburt, hat zunächst das Männchen Dumas Interesse am Jungtier gezeigt und es getragen. Er hat es jedoch weder freiwillig abgelegt, noch ans Gitter gebracht, so dass auch hier eine Versorgung des Jungtiers mit Milch nicht möglich war. Dumas wurde schließlich narkotisiert, um das Jungtier mit der Mutter zusammenzuführen. Hierbei wurde auch ein Versuch unternommen, dem Jungtier die Flasche zu geben. Es zeigte jedoch weder Saug- noch Schluckreflex. Somit war auch die Möglichkeit, es durch einen anderen Schimpansen ohne Milchfluss betreuen zu lassen, ausgeschlossen.

Einen Schimpansen in eine fremde Gruppe zu integrieren, erfordert viel Vorbereitung und Fingerspitzengefühl, da Schimpansen zwar innerhalb ihrer Gruppe sozial sein können, Ressourcen gegen Außenstehende aber stark verteidigen. Da bei Schimpansen in Afrika durchaus Infantizid (Kindstötung) und Kannibalismus bekannt sind, ist die Gefahr für ein Jungtier, das man versucht zu integrieren, sehr hoch. Bisher gibt es keinen positiven Erfahrungsbericht der Integration in eine fremde Gruppe im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP). Trotzdem wurden verschiedene Optionen geprüft und durch das EEP eine Anfrage an einen anderen Zoo gestellt. Als jedoch am Samstagmorgen das Allgemeinbefinden des Jungtiers nachließ, hat der körperliche Zustand einen Integrationsversuch inklusive der Vorbereitung und Transport nicht mehr zugelassen.

Das wichtigste Argument gegen eine Handaufzucht von Menschenaffen – da sind sich alle Experten einig - ist die Fehlprägung, die sich lebenslang negativ auf das Sozialverhalten des Tieres auswirkt. Das Jungtier würde während der Handaufzucht nur menschliche Mimik, Gestik und Verhalten erlernen. Diese unterscheidet sich grundlegend von der der Schimpansen. Auch wenn ein handaufgezogener Schimpanse von einer Gruppe akzeptiert werden kann, ist er nie ein vollwertiges Mitglied und wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Leben lang von anderen Gruppenmitgliedern unterdrückt. Im schlimmsten Fall würde es eine Einzelhaltung ohne arttypische Sozialkontakte bedeuten.

Das deutsche Tierschutzgesetz verbietet es, Tieren Schmerzen, Leid oder Schäden zuzufügen, was nicht mit dem zu erwartenden Leben eines handaufgezogenen Tiers in Einklang zu bringen ist. Da das Schimpansen-Jungtier weder Saug- noch Schluckreflex zeigte, ist es nicht möglich gewesen, die Zeit zu überbrücken, bis die Mutter sich vollends erholt und das Jungtier evtl. noch angenommen hätte.

Nach der Einschläferung des Schimpansen-Jungtiers wurde der Körper des Jungtiers an ein veterinärpathologisches Institut zur pathologischen Untersuchung geschickt. Das ist in einem solchen Fall ein üblicher Vorgang und wurde vom Zoo am Meer direkt veranlasst. Lizzy wurde wieder in die Gruppe gelassen, in der sie sich schnell erholte. Da sie das Jungtier nie als ihr eigenes angenommen hat, hat sie auch nicht getrauert.

Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass Lizzy direkt nach der Geburt einen hypovolämischen Schock erlitt. Das bedeutet, dass aufgrund eines akuten, hochgradigen Blutverlustes das Herz nicht mehr ausreichend Blut durch den Körper pumpen konnte. Ursache hierfür war vermutlich ein starker Blutverlust während der Geburt. Das Jungtier zeigte in der Pathologie sowohl Hinweise auf eine Septikämie (=systemische Infektion mit Bakterien oder Bakterienstoffwechselprodukten im Blut) als auch eine Fruchtwasseraspiration (=Einatmen von Fruchtwasser in die Lunge, u.a. aufgrund von schweren Geburten). Als Eintrittspforte für eine Infektion diente vermutlich der Nabel. Auch zeigte die Milz bereits eine Vergrößerung, was auf eine Aktivierung des Immunsystems hindeutet. Mit diesen Befunden wären die Überlebenschancen für das Jungtier generell schlecht gewesen, unabhängig von der Form der Aufzucht. Auch dass das Jungtier weder an der Mutter noch von der Flasche getrunken hat, kann in einer unterliegenden Infektion begründet sein.

Der hypovolämische Schock könnte eine Ursache gewesen sein, dass Lizzy ihr Jungtier zunächst nicht angenommen hat, da sie direkt nach der Geburt körperlich nicht in der Lage war, es zu versorgen. Da das Jungtier in den ersten Stunden von einem anderen Mitglied der Gruppe getragen wurde, konnte zunächst keine Mutter-Kind-Bindung entstehen. Auch als es Lizzy körperlich besserging, war keine Interaktion mit dem Jungtier zu beobachten.

Zunächst einmal steht die körperliche Erholung von Lizzy im Vordergrund. Anschließend wird in Abstimmung mit den Experten des Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP) die Situation neu evaluiert und ein Plan erarbeitet, der das Wohl der einzelnen Schimpansen, die Integrität der Gruppe und deren Funktion innerhalb der Europäischen Reservepopulation, berücksichtigt.

Wenn bei Schimpansen von empathischem Verhalten gesprochen wird, geht es dabei um einen Begriff der Verhaltensforschung. Dieser beschreibt, dass Schimpansen die Emotionen anderer erkennen können. Es bedeutet jedoch nicht, dass Schimpansen auch das Leid anderer vermeiden wollen. Dies ist eine menschliche, kulturgeprägte Handlungsweise. Schimpansen sichern in ihren afrikanischen Lebensräumen ihr Überleben durch das Einnehmen und Verteidigen von Ressourcen. So auch Nahrung und Zuwendung durch andere Gruppenmitglieder. Es kann, wenn alle äußeren Bedürfnisse gedeckt sind, durchaus vorkommen, dass auch Jungtiere anderer Gruppenmitglieder versorgt werden. Dies ist jedoch nicht die Regel. Schimpansen haben generell ein sehr breites Spektrum an arttypischen Verhaltensweisen, die je nach äußeren Umständen und Erziehung durch die eigene Gruppe unterschiedlich ausgeprägt sind. So sind in Bezug zu Jungtieren von Aufzucht fremder Jungtiere bis hin zu Kannibalismus sehr unterschiedliche Ausprägungen schon beobachtet worden.